Geistreich ist, wo Dankbarkeit ist – in sich selbst

In der Regel empfinden wir Dankbarkeit, wenn wir etwas bekommen haben oder uns selbst geben, was uns in diesem Moment als besonders wertvoll erscheint, zum Beispiel eine schöne Reise oder ein Erlebnis, ein tolles Geschenk, eine tolle Begegnung mit einem Menschen, einen gut bezahlten Job, einen Lottogewinn, eine tolle neue Wohnung, eine neue Partner-schaft. Es entsteht ein Gefühl der Freude, eine Euphorie. Wir fühlen uns dankbar. Ich habe das bekommen, was ich will, ein Wunsch ist erfüllt.

Das ist wunderbar. Daran ist nichts auszusetzen. Doch was passiert, wenn ich dieses mir so lieb gewonnene Objekt wieder verliere? Wenn sich mein toller neuer Partner, für den ich so dankbar bin, plötzlich in eine andere Frau verliebt? Wenn mein Chef mit meiner Arbeit nicht zufrieden ist und mir wieder kündigt? Wenn ich meine Wohnung verliere oder all mein Geld? Oder wenn ich die Reise, die ich mir so sehr wünsche, gar nicht machen kann? Oder wenn mein gesunder Körper durch Krankheit oder einen Unfall plötzlich ausfällt?

Wo einst so eine große Dankbarkeit und Freude war, ist plötzlich Wut, Trauer, Enttäuschung. Der Verlust dieses mir so wertvoll und wichtig erscheinenden Objektes macht mir zu schaffen. Die Dankbarkeit ist hinüber, es ist sogar völlig undenkbar in diesem Moment des scheinbaren Verlustes weiterhin Dankbarkeit zu empfinden.

Keine Ent-Täuschung ohne Täuschung
Doch ist Enttäuschung in der Tat das Beste, was mir passieren kann. Klingt erstmal merkwürdig, denn keiner möchte absichtlich Enttäuschung erleben. Doch genau da, wo es mich schmerzt, kann ich sehen, dass ich in einer Täuschung involviert war. Keine Ent-Täuschung ohne vorherige Täuschung. Die Täuschung ist, dass ich den Wert meines Seins an die äußeren, mir wertvoll erscheinenden Dinge knüpfe. Das tut weh, denn das ist eine Lüge.  Die Wahrheit ist, dass der Wert meines Seins, meines Lebens niemals von äußeren Bedingungen abhängig ist. Jetzt, wo das schmerzliche Gefühl der Enttäuschung aufkommt, kann ich mich nach innen wenden und erkennen, wo ich meinen Wert abgegeben habe. Wo ich mich abhängig gemacht habe von der Erfüllung meiner Wünsche.

Spirituelle Qualität von Dankbarkeit
Es ist nicht wirklich wahre Dankbarkeit, wenn ich die Dankbarkeit an Objekte oder Erlebnisse kopple, wenn ich sage: Ich bin dankbar für das oder für jenes. In dem Moment, wo mir das vom Leben wieder genommen wird, kann ich es erkennen. Dieser Moment das wahre Geschenk, ein Geschenk des Lebens. Es ist die Chance mit der tieferen, wahren Dankbarkeit in Kontakt zu kommen. Wahre Dankbarkeit kommt in den Momenten der Besinnung auf. Wenn ich mich voll und ganz, mit all meinen Sinnen auf den gegenwärtigen Augenblick besinne, ohne diesen durch meine bewertenden Gedanken zu be-trachten, bin ich dankbar. Ich bin dankbar, dass ich bin. Es klingt sehr einfach, vielleicht erscheint es sogar als ungenügend, doch es ist das Größte, was wir erleben können. Der Schlüssel dazu ist, meine bewertenden Gedanken dasein zu lassen, ohne auf sie zu hören. Oder sie für eine Weile aus der umgekehrten Perspektive zu betrachten.

Dankbarkeit ist die spirituelle Qualität der Liebe, des liebenden Seins. In Kontakt mit dem reinen Sein, mit dem, was ich wirklich bin, bin ich dankbar. Es ist reine Seins-Freude, reine, unschuldige Dankbarkeit. Es ist Berührtsein in der Tiefe meines Seins, es ist Herzkontakt und gleichermaßen die Erkenntnis, dass ich all das, woran der Verstand in der äußeren Welt anhaftet, nicht brauche, um wert-voll, glücklich, liebend, dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit ist unabhängig von äußeren Bedingungen. So kann ich sogar sagen: es kommt ein neuer Partner – ich bin dankbar. Er geht wieder – ich bin dankbar. Ich habe einen tollen neuen Job – ich bin dankbar. Ich habe ihn wieder verloren – ich bin dankbar. Es ist klar, ich habe, was ich brauche und brauche, was ich habe – in jedem Moment. Meine Seinsfreude ist unberührt von dem, was äußerlich geschieht. Diese Freude ist die Dankbarkeit. Es ist die Dankbarkeit des Lebens selbst.

Ich bin Leben – Dankbarkeit ist eine neue Haltung, ein Zustand.
Hier kann ich das in mir finden, wovon auch der Benediktiner Mönch David Steindl-Rast spricht: „Dankbarkeit ist der Schlüssel zur Freude. Dankbar zu sein für den gegenwärtigen Augenblick, wie immer dieser sein mag, ist eine tiefe innere Haltung dem Leben gegenüber.“ In dieser Haltung ist mir klar, dass alles bereits gegeben ist. Ich habe stets alles, was ich brauche. Ich bin von innen berührt und sehe, dass ich das Leben selbst bin, dass ich vom Leben bewegt bin. Das Herz findet Ruhe, es findet den Sinn.

Autorin: Tatjana Haas

Verantwortlich für den Inhalt des Artikels ist die Autorin.

Weitere Beiträge der Autorin sind erschienen auf www.sein.de – ein Onlinemedium für ganzheitliches Leben und spirituelle Entwicklung.