Von der Sehnsucht, die Welt zu bereisen

Ich brauche Urlaub
In der Überzeugung, dass Urlaub und Reisen das Leben attraktiver machen, beginne ich im Arbeitsleben, Reise- und Urlaubszeiten zu takten und zu planen. Wenn ich Arbeit und Alltag als anstrengend und stressvoll erlebe, brauche ich Urlaub oder ich träume von längeren Reisen um die Welt, um Abwechslung zu haben, um etwas Schönes zu erleben oder um mich zu erholen. Erst durch die Reisen an verschiedene Orte der Welt erscheint mir mein Leben wertvoll. So bin ich ständig in der Sehnsucht nach besonderen freien Zeiten im Jahr, die mich erfüllter und zufriedener machen sollen, die mir Schönes zu versprechen scheinen. In der Reisevorbereitung wächst die Sehnsucht und das Warten auf die schönere Zeit, auf schönere Orte, auf ein schöneres Erleben. Mit einer Reise verbinde ich Wunschvorstellungen, die sich erfüllen sollten, damit ich auf der Reise wirklich glücklich und zufrieden bin. So soll es möglichst sonniges Wetter in schöner Natur geben, nette Menschen, ansprechende Unterkünfte, leckeres Essen, eine gewisse Harmonie unter den Mitreisenden, schöne Ausflugsziele oder einen wundervollen Strand zum Nichtstun als Gegenpol für meine Geschäftigkeit im Arbeitsalltag. Die Reiseplanung ist mit dem Einbeziehen all dieser Wünsche total anstrengend. Setzt auf der Reise eine dieser Wunschvorstellungen nicht ein, bin ich selbst an wunderschönen Orten plötzlich unzufrieden und frustriert. Ich ertappe mich beim Vergleichen mit anderen Orten oder beim Planen einer besseren Reise, die meinen Wünschen mehr entspricht.

Zutiefst frustriert am Traumstrand
Am deutlichsten wurde mir das, als ich an einem Traumstrand am Indischen Ozean in völliger Abgeschiedenheit bemerkte, dass ich diesen wunderschönen Ort gar nicht richtig fühlen und wahrnehmen konnte, wie ich es mir vor der Ankunft erträumt und ersehnt hatte. Ich kam mir vor, wie eine Statistin in einem Film, wie ein Fremdkörper. Ich war gar nicht richtig angekommen und so blieb in mir eine Unruhe, obwohl ich mich nach Ruhe gesehnt hatte. Diese Erkenntnis, dass es mich, egal an welch`wunderschönen Orten ich bin, nicht im gleichen Moment glücklich macht, frustriert mich zutiefst. Von der Frustration, lenke ich mich durch den Fokus auf neue schönere Orte und Erlebnisse sofort wieder ab, was eine gewisse Rastlosigkeit mit sich bringt, die mich immer weitertreibt. Die Suche nach schönen Reisezielen dauert fortwährend an.

Die Sucht nach schönen Erlebnissen
Genauer betrachtet ist es die Sucht nach schönen Erlebnissen, die dauerhaft unterschwellig mitläuft. Hier wird mir klar, dass sich der Zustand des Glücklichseins niemals wirklich einstellt, und das dies unabhängig davon ist, wo ich gerade bin. Ich nehme das Leben, das jetzt gerade passiert, gar nicht wirklich wahr, ich schätze es sogar gering und missachte es. Ich bin ignorant und arrogant dem Leben im Hier und Jetzt gegenüber, genauso wie den Menschen, die mir begegnen und sehe nicht, was mir das Leben jetzt in diesem Moment gerade schenkt. Es ist ein enger verhärteter Zustand, in dem die Offenheit, die Neugier und die Dankbarkeit für das, was jetzt gerade ist, nicht vorhanden sind. Die Sehn-Sucht katapultiert mich aus dem jetzigen Moment in eine imaginierte Zukunft. Ich bin gar nicht wirklich da, unabhängig davon, ob ich mich im Alltag oder auf einer Reise befinde. Die Rastlosigkeit nach einem schöneren Leben hört nie und nirgendwo auf. Hier wird mir klar: Ich nehme mich mit meinem Denken und meiner Haltung dem Leben gegenüber überall hin mit. Die Unzufriedenheit, kein ausreichend glückliches Leben zu erfahren, ist der tiefe Schmerz, der mich eigentlich nichts wirklich erleben lässt. Es ist traurig, zu sehen, dass ich auf diese Weise an meinem Leben vorbeilebe. Ich bin gar nicht wirklich lebendig, wenn ich ein gieriger Konsument nach schönen Erlebnissen bin, die mich so niemals wirklich glücklich machen, da mich die Sucht nach mehr immer weitertreibt.

Bewusst reisen – nach innen
In diesem Erkennen halte ich innerlich an. Ich reise bewusst nach innen. Dieses Anhalten eröffnet mir eine neue Wahrnehmung im Jetzt. Mit der Entscheidung, das wertzuschätzen, was jetzt ist, bemerke ich mit offenen Sinnen, was mir gegeben ist. Es ist ein lebendiger Zustand, der mich dankbar für das macht, was jetzt gerade da ist und gleichzeitig bin ich in einer freudigen Aufregung und Neugier. Es ist ein Zustand, den ich aus Kindheitstagen kenne. Mit meiner Mutter und Schwester begegnete ich das erste Mal auf der Straße einem dunkelhäutigen Menschen. Die Neugier und Freude von uns Kindern war in dem Moment so groß, dass wir mit Blicken und Gesten Kontakt aufnahmen, woraus sich ein Gespräch mit Händen und Füßen zwischen meiner Mutter und ihm ergab und eine Freundschaft daraus wurde. Das Reisen, was wir noch gar nicht kannten, kam so in unser Wohnzimmer nach Hause. Gespannt lauschen wir seinen Geschichten über das Leben in Mosambik, sehen uns Bilder an, hören den Klang seiner Sprache, und fahren vorsichtig durch seine Haare, was uns zum Lachen bringt. Offener Kontakt, Freude im Jetzt. Jetzt erkenne ich, diese verspielte neugierige Freude ist in mir. Sie war nie verloren, ich habe sie lediglich vergessen oder sie taucht nur sporadisch hin und wieder auf. Ist sie in mir erkannt, begegne ich dem Leben in einer freudigen Offenheit und Neugier. Ich bin erfüllt und lebendig in mir selbst. Das Leben ist ein Geschenk, und überall, ob im Alltag oder unterwegs, bin ich erfüllt und dankbar. Es ist ein Zustand des Angekommenseins in mir selbst. Den jetzigen Moment erlebe ich in einer bisher nicht wahrgenommenen tiefen Freude und Ruhe. Dieser Kontakt zu mir selbst ermöglicht einen offenen freudigen Blick in das Leben, in die Welt. Hier und jetzt lasse ich mich auf das Leben ein, das jetzt gerade ist. Ich bin das Leben selbst und gleichzeitig davon bewegt. Das ist sehr aufregend und wunderbar. Die in mir pulsierende Lebendigkeit ist der Zustand tiefen Glücks, den ich nicht im Außen finden kann. Ist das GlücklichSein in mir selbst erkannt, ist jeder Ort, jede Begegnung, jedes Erlebnis eine Erscheinung dessen, was ich selbst bin. Glückseligkeit.
Dies war nie anders, ich habe es nur nicht wahrgenommen. Ich war nie weg gewesen – nur in meinen Gedanken.

 

Autor: Daniela Schuchardt

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