Vielleicht werde ich endlich geliebt, wenn ich nur fleißig bin, wenn ich durch Fleiß beweise, gut genug zu sein. Vielleicht hört der Schmerz dann auf und ich werde endlich geschätzt und willkommen geheißen in diesem Leben. So die Programmierung in meinem Kopf, so tönt es verzweifelt, herzzerreißend und dennoch monoton, da ständig wiederkehrend, von der Festplatte des Hirn- Computers. Jeder Kontakt ist verseucht von diesem eingeprägten Gedanken- Programm, dass hinter der possierlichen Fassade repetitiv abläuft und mich benebelt, hypnotisiert, in Trance versetzt. So bin ich durch meinen gesteuerten, nach Anerkennung und Wertschätzung süchtigen Ich-Charakter gar nicht wirklich anwesend und auf jede Kontaktaufnahme von außen kommt die Antwort: „Hallo, hier bin ich, das süße possierliche Tierchen, im Moment ist leider sonst niemand zu Hause. Sie können aber gerne ihre unendliche Wertschätzung und ewige Liebe nach dem Signalton für mich hinterlassen. Sollte es mir nicht reichen, was höchst wahrscheinlich eintreffen wird, rufe ich Sie zeitnah zurück“. Der automatische Anrufbeantworter springt ungefragt immer an, wenn ich nicht zu Hause bin, sprich wenn ich mich steuern lasse von meinem nicht hinterfragten Verstand. „Ich denke, also bin ich.“
Descartes fasste die fatale Identifikation mit dem Verstand treffend in diesem Satz zusammen. Die Welt, und auch ich, glaubten es ihm. Er spricht nicht die Wahrheit aus, sondern das, was alle glauben, des Pudels Kern der wirksamen Massenhypnose.
Mit Rilkes Worten: “das Reine, Unüberwachte, das man atmet und unendlich weiß und nicht begehrt.” (vgl. Achte Duineser Elegie, Rilke). Ich kann es nicht erreichen, denn es ist schon hier, in jedem Augenblick. Berührt von diesem Unfassbaren bemerke ich, wie der Verstand sein Programm wieder abspulen will und falle manchmal darauf hinein.
Aufwachen aus der Massenhypnose
Es gibt etwas hinter der Maschine im Kopf, das immer war, immer ist und immer sein wird. Es ist mit dem Verstand nicht zu erfassen, da es end- und anfangslos ist, unendlich weit und ohne Bewertung. Es ist in jedem von uns, in allem was ist und es ist grenzenlos gütig, sanft und unschuldig.
Ich beobachte was der oben genannte Glaubenssatz aus mir macht: eine Maschine, ein lebloses, von kalten Gedanken gesteuertes Ding, das fortwährend hungrig vampirisch umherstreift, auf der Lauer nach dem nächsten Happen leeren Pseudowertes, der nach einer kurzen Triebbefriedigung nichts als ein schwarzes Loch hinterlässt, das sofort wieder danach schreit, gefüllt zu werden. So wird der Verstand zum Leid-sucher und Vermehrer und erschafft nichts als sich selbst wie ein Tier, das sich getrieben vom Instinkt in den eigenen Schwanz beißt.
Im Märchen Frau Holle steigt die als faul und hässlich beschriebene Pechmarie in den Brunnen, um wie ihre Schwester, die aus freien Stücken fleißig ist, Gold als Lohn zu erhalten. Doch was sie sät, wird geerntet: Pechmarie handelt getrieben durch den gierigen Gedanken nach Gold. Sie weiß nicht, dass ihr Wert bereits da ist und das macht sie hässlich. Goldmarie hingegen weiß um ihren Wert. Sie ist hingebungsvoll, ohne Jammern und Klagen. Demütig wird sie ohne eigenen defizitären Willen gelenkt und tut um des Tuns Willen. Gold braucht sie nicht, sie ist es bereits.
Und gleichzeitig sind beide Wege richtig. Ich kann als Pechmarie durch die Annahme des schmerzverursachenden Glaubenssatzes „Ich muss fleißig sein, um entlohnt, also wertvoll zu sein“ erkennen, dass dieser Gedanke nichts als Leid verursacht und mich dann fragen, wer ich ohne jenen Glaubenssatz bin. Das göttliche, geistige Wesen, das ich bin, fühlt sich angesprochen, erwacht in mir und gibt Antwort. Kehre ich anschließend den schmerzlichen Lügengedanken um, wird klar, wo es friedlicher ist: Ich brauche nicht fleißig sein, um wertvoll zu sein. Ich kann gar nichts tun, um wertvoll zu sein, denn ich BIN es bereits. Der Verstand hält an, der Körper entspannt sich und das goldene, göttliche Licht erstrahlt wieder. Pech- und Goldmarie sind eins. In der lebendigen Erkenntnis fällt „(…) ein gewaltiger Goldregen, (…) so dass (…) [ich] über und über davon bedeckt (…)“ bin. (vgl. Frau Holle, Gebrüder Grimm).
Autor: Juliane Kammerl
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