Der Mensch – ein sexuelles Wesen?

Die Evolution von der Tierstufe zum Selbstbewusstsein
Den Glauben ein sexuelles, geschlechtliches Wesen zu sein nehme, ich in meinem Körper wahr -in meinem Becken, das wie mir scheint, wollüstig pulsiert, ein roter zuckender Strom aus Lust. Beim genaueren Hinspüren bemerke ich, dass nur ein Gedanke dieses Gefühl als angenehm maskiert. „Wollust, Leidenschaft, das ist doch erstrebenswert, das ist geil!“, denkt mein auf Paarung programmiertes Hirn. Doch darunter liegt ein nach außen gerichtetes Ziehen, das schmerzhaft ist, da es sich von mir wegbewegt, hinaus in die Welt als unerfülltes Verlangen.In meinem Bauch hingegen fühlt es sich abgeschnitten und getrennt an. Eine Barriere zwischen Unterleib und Oberkörper. Weiter oben dann, im Brustraum, bewertet mein aktiver Verstand das Ziehen, das wohl dasselbe ist wie im Unterkörper, als unangenehm. Dieses schmerzhafte Gefühl äußert sich als Hunger, als Gier, ausgelöst von dem Glauben ein sexuelles Wesen mit
körperlichen, geschlechtlichen Bedürfnissen zu sein.

Auf Beutezug
Mein lüsterner, ausgehungerter Blick streift unruhig umher auf der Suche nach einem Objekt der Befriedigung, nach Jemandem oder Etwas, das dieses Ziehen in mir abstellt. Unweigerlich muss ich an einen Mann im Porno denken, der sich schwitzend und keuchend abmüht und zu der Frau, in die er sein Geschlecht gesteckt hat, atemlos sagt „Ich geb´s dir, ich besorge es dir“.
Was bekomme ich denn, was wird mir besorgt?

Getrieben von der ziehenden Hitze in mir sehe ich meinen Partner und sehe ihn auch wieder nicht. Ich fokussiere mich nur auf seinen Geruch, die Haare auf seiner Brust, sein Geschlechtsteil. Animalische Schlüsselreize. Willkommen auf der Tierstufe! Die sogenannte Geilheit hackt ihn gedanklich in Stücke, in lustfördernde und solche, die ich nicht gebrauchen kann. Eine Verbindung ist so nicht möglich, weder zu ihm, noch zu mir.

Der einsame Geschlechtsakt
Und so locke ich ihn denn ins Bett, stecke sein „geiles“ Stück in mich, schwitze und keuche, denke mir noch ein paar erregendere Stücke anderer Männer dazu und baue mir in Gedanken eine orgasmusfördernde Szene – in Wirklichkeit nähe ich mir Frankensteins Monster zusammen.

Ich bin überall nur nicht im Hier und Jetzt. Bin überall nur nicht in meinem Körper, nicht im Kontakt mit mir oder ihm. Bis zum Höhepunkt des schmerzhaften Ziehens, das sich in ein paar Muskelzuckungen entlädt und endlich verstummt. Mich in Ruhe lässt…bis zum nächsten Mal. Was bleibt, ist Leere und Scham. Scham über diesen Riesenenergieaufwand nur für gähnende Leere und eine kurze Befriedigung die lediglich aus einem kurzen Verstummen des Ziehens besteht. Weder habe ich etwas bekommen, noch wurde mir etwas besorgt.

Gefangen im Spinnennetz
Doch da blendet sich das Bewusstsein ein und erkennt den Schmerz. Ich erkenne, dass ich mir selbst und meinem Partner doch nahe sein will und mit diesem ewigen Paarungskreislauf nur das Gegenteil erreiche. Er wird von mir herabgewürdigt, reduziert, verschlungen und missbraucht. Auf dieser Stufe wäre es nur allzu konsequent ihn wie eine schwarze Witwe nach dem Akt zu verspeisen.

Meine Mutter hat mir dies einmal in all seiner fabelartigen Bildhaftigkeit an den Kopf geworfen und ich habe es empört zurückgewiesen. Ich sehe jetzt die Wahrheit darin: auch ich reduziere mich in meiner Triebhaftigkeit auf ein ausschließlich körperliches Wesen mit einem geifernden Schlund, unruhig suchend.

Wenn mich in diesem Zustand mein Partner oder andere gegengeschlechtliche Menschen abblitzen lassen, suche ich die Schuld bei meinem Körper und begebe mich in den Kriegszustand. Im Kriegen-Modus trachte ich, mein Lockmittel, meinen weiblichen Leib zu verbessern. Ich verwende täglich viel Zeit mein Erscheinungsbild zu optimieren – durch Diäten, Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel, Sport, Kosmetik- und Friseurtermine, Kleidung die meine Defizite kaschieren und meine Reize hervorheben soll.

Andere Frauen insbesondere jüngere bis gleichaltrige betrachte ich als Konkurrentinnen, reduziere sie ebenfalls auf ihr Geschlecht und will mein Revier, meinen Partner verteidigen. Alten zahnlosen Löwinnen kehre ich kalt den Rücken zu. Eine einzige Tierdoku.

Evolution
Das Annehmen der Scham öffnet mich und ich bin bereit den Schmerz zu fühlen. Ich sehe, dass ich meinen Partner als auch mich feindlich und zerstörerisch behandle. Der Gedanke ein sexuelles Wesen zu sein, versetzt mich in ein Gefängnis. Eingesperrt im Körperlichen, ein- und abgegrenzt von Knochen, Fleisch und Haut.

Die Frage, wer ich ohne den Glauben, ein sexuelles Wesen zu sein, BIN, lässt mich in meiner Triebspirale sofort innehalten. Was geschieht mit diesem Ziehen in Unterleib und Brust, wenn ich es nicht mehr als sexuelles Verlangen interpretiere, wenn ich frei von diesem einsperrenden, einengenden Gedanken bin? Ich nehme das Ziehen nach wie vor wahr, doch die Richtung ändert sich und fällt schließlich ganz weg. Die Aus-richtung wird zur Ein-richtung: der Eindruck des Ziehens weicht einem Gewahrsein einer Energie, die mit purer Lebendigkeit hell und licht durch mich hindurch strömt, über die Grenzen des Körpers, der in meiner Wahrnehmung verblasst, hinaus in die Grenzenlosigkeit des Raumes und doch ist da ein Gehaltensein. Aus diesem neuen, befreiten Zustand schaue ich zu Tom, dem Menschen den ich meinen Partner genannt habe. Ich sehe auch durch seinen Körper eine unendliche, wunderschöne Energie scheinen. Dieselbe die ich in mir wahrnehme. Ehrfurcht erfüllt mich. Die Illusion der Trennung schmilzt, Gnade geschieht. Kein nach außen gerichtetes Wollen mehr, nur stille, energiedurchflutete Freude, Fülle. Nachhausekommen. Ich bin aufgewacht und sehe die Wahrheit: ich bin kein sexuelles Wesen. Ich bin ein körperloses, grenzenloses, energetisches Lichtwesen.

Autor: Juliane Kammerl

Verantwortlich für den Inhalt des Artikels ist der Autor.