Aufgeben und die wahre Aufgabe

Die Suche nach Wertschätzung
Ich habe herausgefunden, dass ich, wenn ich in der Arbeit Aufgaben erledige, sich im Hintergrund viele Gedanken abspielen, die die Aufgabe zur stressigen Bürde werden lassen. Ein Gedanke, der mich umtreibt, ist „Ich muss gute Leistung erbringen, um Wertschätzung zu erhalten“. Wenn dieser Gedanke aktiv und nicht hinterfragt ist, ist mein Tun auf ein Ziel ausgerichtet, ich setze mich damit unter Druck. Ich kann die Aufgabe nicht einfach erledigen, meine Aufmerksamkeit ist in der Zukunft, ich will die Aufgabe schnell erledigt haben, damit ich Wertschätzung dafür bekomme. Das macht mich ruhelos, bin getrieben und gehetzt. Auch bin ich abgelenkt davon, was eigentlich zu tun ist, da ich schon während der Erledigung Aufmerksamkeit haben möchte. Ich erledige Teile der Aufgabe schludrig, durchdenke sie nicht, sondern will schnell ein Ergebnis haben. Ich spreche mit Kollegen über die Aufgabe und wie schwierig sie ist, mache mich damit wichtig und möchte Aufmerksamkeit und Bestätigung.

Wenn ich die Aufgabe dann erledigt habe, ist es aber oft so, dass ein konkretes Lob ausbleibt, dann geht es weiter mit meiner Suche nach Wertschätzung und Bestätigung. Ich bin mit meiner Aufmerksamkeit voll bei den anderen, weil ich Aufmerksamkeit haben möchte. Und wenn ich sehe, dass ein Kollege etwas gut kann, dass ich nicht kann (und Wertschätzung dafür bekommt), mache ich mich selbst runter und sage mir, dass ich eben nicht gut genug bin, dass ich nicht logisch genug denken kann.

Schlimmer aber ist es, wenn ich ein Lob bekomme, wenn ich höre dass jemand zufrieden mit meiner Arbeit ist. Ich merke dann, dass die vermeintliche Wertschätzung der anderen eigentlich leere Worte sind. Ich fühle mich dadurch nicht wertvoller. Manchmal ist es aber auch so, dass wenn jemand Zufriedenheit über meine Arbeit äußert, ich das persönlich nehme. Es steigt mir dann zu Kopf, es gefällt mir, ich bin eine Weile von den Worten getragen, ich schwebe dahin, ein bisschen als wäre ich verliebt. Ich assoziiere das Gefühl mit der Person, möchte der Person mehr gefallen durch bessere Leistung. Das Lob wiederholt sich in meinem Kopf immer wieder. Es ver-wirrt mich, aber ich will mehr davon. Und es gibt immer eine neue Aufgabe, es reicht nicht, dass mein Wert einmal gut eingeschätzt wurde. Die Suche nach Wertschätzung wird zur Sucht. So mache ich meinen Wert abhängig von meiner Leistung und wie andere Leute sie bewerten. So mache ich mich abhängig von anderen Leuten. Wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert, mache ich mich in Gedanken runter: „Na klar hat das nicht funktioniert, du bist eben nicht schlau genug“.  Teilweise gebe ich dann einfach auf. Das ist kein friedliches Aufgeben, sondern Resignation.

Bewusstwerdung
Wenn ich statt zu verdrängen, mir die Situationen anschaue, in denen es sich in mir zusam-menzieht, merke ich, dass im Grunde immer der gleiche Gedanke dahinter steht. Ich denke oft, dass ich nicht gut genug oder wertvoll bin so wie ich bin, dass ich erst irgendwas dafür tun muss (bessere, schnellere, mehr Leistung) oder irgendwie anders sein muss (erfolgreicher, schöner, größer, reicher, gesünder). Wenn ich so denke, tue ich mir damit selbst weh. Wenn ich denke, die anderen sind dafür zuständig meinen Wert zu sehen und sie tun es gerade scheinbar nicht, tut mir das weh. Wenn jemand im falschen Ton mit mir spricht oder mich falsch anschaut, nehme ich das oft persönlich, weil ich denke, dass ich nicht wertgeschätzt oder sogar angegriffen werde. Das tut weh. Ich mache mich klein und gebe den anderen die Schuld an meinem Schmerz. Ich mache sie zum Täter und mich zum Opfer. Ich erkenne, dass ich es bin, die ihren Wert nicht sehen kann. Dass ich mir selbst weh tue, indem ich denke, dass ich nicht wertvoll bin. Ich habe die Verant- wortung komplett abgegeben, meinen gegebenen Wert ignoriert, und versuche ihn zu kompen-sieren, was mir aber niemals gelingt. Ich bin von meinem Selbstwert abgetrennt. Erstmal bin ich scheinbar hilflos. Doch der Schmerz zeigt mir auf, dass ich da gerade einer Lüge glaube. Die Lüge heißt „Ich bin nicht wertvoll“. Ich habe erkannt, dass ich selbst für meinen Leiden verant-wortlich bin und es meine Verantwortung ist, das was Leiden verursacht, anzuschauen und zu hinterfragen, ob es überhaupt stimmt. 

Auflösung
Ich kehre den Gedanken „Ich bin nicht wertvoll“ um und überprüfe ob das auch wahr sein könnte. Die Umkehrungen des Gedankens lauten: Der Wert meines Seins ist immer gegeben. Ich bin schon wertvoll so wie ich bin. Ich bin immer wertvoll, egal wieviel Leistung ich erbringe. Diese Um- kehrungen fühlen sich friedlich an, ich werde ruhig, ich komme in dem Moment „bei mir“ an. Hier ist es auf eine Art still und wohlig. Ich bin zufrieden. Oder besser im Frieden. Hier bin ich einfach und kann einfach sein, wie ich bin. Ich bin bereits wertvoll. Das könnte auch wahr sein, es könnte sogar wahrer sein. Mit der eingeblendeten Umkehrung, bin ich in meinem Selbstbewusstsein angekommen. Hier bin ich klar und mir meines Wertes bewusst. Aus diesem Bewusstsein heraus bin ich mit meinem Wert in Kontakt. Ich brauche nichts mehr erreichen, mit dem was ich tue. Hier bin ich offen und frei, ich kann Aufgaben annehmen und erledige sie einfach in einem natürlichen Tempo. Ich bin mit meiner Aufmerksamkeit bei mir und der Sache, die zu erledigen ist und es bereitet mir Freude die verschiedenen Aufgaben einfach zu tun. Ich nehme mir Zeit für die Aufgabe. Wenn die Aufgabe erledigt ist, gebe ich dies kund und bin frei davon, was ein Gegenüber dazu sagt. In diesem Wert-Bewusstsein gibt es kein resigniertes Aufgeben. Dieses Aufgeben hat für mich einen ganz anderen Charakter.

Wenn klar ist, dass meine wahre Aufgabe darin besteht, nicht am Gedanken zu haften und mir meines Selbstwertes bewusst zu sein, ist da Lebensfreude. Hier bin ich frei. Natürlich kann ich meine Gedanken nicht alle einfach auf Kommando aufgeben. Es reicht, wenn ich sie erkenne und mich an die Umkehrung erinnere. Das Aufgeben der Glaubenssätze passiert dann von selbst. Ich bin schon wertvoll. Ich muss nichts dafür tun. Aus diesem Bewusstsein heraus kann ich absichts-los und in stiller Freude einfach an meinen Aufgaben arbeiten, wobei das Arbeiten sich nicht mehr wie „Arbeit“ anfühlt. Im Tao nennt man es auch Tun ohne Zielstellung. Wenn ich nun mit etwas Abstand auf diesen gesamten Mechanismus schaue, kann ich nur über mich selbst schmunzeln und gebe gern auf. Das was ich die ganze Zeit gesucht habe, bin ich bereits: Wertvoll.

Autor: Leonie Schäfer

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